Tradition ist Tradition - oder - Heiße Rhythmen bei Eiseskälte
Wo fängt man an, wo hört man auf an einem solchen Tag? Angefangen haben wir mit einem Blick aufs Thermometer. Bei 2° C Außentemperatur fand die Gruppe es eine Superidee, vor der Fahretappe noch die berühmten Eishöhlen von Kungur zu besichtigen.
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Zwei Räume des riesigen Höhlensystems halten zwar eine Temperatur unter dem Gefrierpunkt - sonst könnten nämlich die hübschen Eiskristalle nicht entstehen.
Je weiter man aber unter Tage vordringt, umso „wärmer“ wird es. Bei einem Durchschnittswert von plus 5° C war es tief im Berg deutlich kuscheliger als draußen vor der Tür in der frostigen Wirklichkeit am Rande des Urals am ersten Tag im Juni 2018.
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Auf gut beleuchteten - wenn auch manchmal schmalen - Wegen gingen wir von Höhle zu Höhle und lauschten den Ausführungen der engagierten Führerin. Die Eiskristalle wurden teilweise farbig ausgeleuchtet und funkelten wunderschön in ihrem unterirdischen Reich.
Natürlich legten wir viele Fotostopps ein und mußten schmunzeln als die Höhlenführerin ankündigte, wir würden nun in die warmen Grotten kommen. Immerhin hatten sich alle vorsorglich mit Daunenjacken, Mützen und Handschuhen ausgestattet. Unsere Gedanken gingen weiter nach Osten an den Baikalsee und in die Heimat unserer Burjaten Sascha und Tsyren, die bei Anrufen zuhause sommerliche Hitze gemeldet bekommen. Bald - schon sehr bald - werden wir auch dort sein.
Unsere Morgenwanderung durch ein unfaßbar ausgedehntes Höhlensystem begeisterte alle, die sich auf den manchmal nicht ganz einfachen Weg gemacht hatten. Die Tour-Teilnehmer, die sich in engen Räumen nicht wirklich wohl fühlen, waren vorsorglich nicht mitgekommen und konnten ausschlafen.
Zuletzt kamen wir sogar an Spiegelseen vorbei, die das Ganze noch mystischer machten. Um die ganz besondere Wirkung der Höhle mit allen Sinnen erfassen zu können, verharrten wir einen Moment in völliger Dunkelheit und jeder empfand das als wirklich beeindruckend.
So viel zum ersten Teil dieses erinnerungswürdigen Tages!
Der aufmerksame Leser wird sich fragen, wo denn die „heißen Rhythmen“ ins Bild kommen? Die Eiseskälte haben wir ja ausgiebig dokumentiert.
Wir begaben uns nach Genuß eines Heißgetränks zur Wiedererlangung einer normalen Körperkerntemperatur auf die heute nur 130 Kilometer lange Fahrstrecke und ließen uns vom Navi nach Jalym führen, einen Ort, der auf keiner Karte eingezeichnet ist. Bei der Einfahrt in dieses Juwel ländlichen Russlands erschien es uns wie ein Museumsdorf.
Die windschiefen Holzhäuschen machten nicht den Eindruck, als seien sie noch bewohnt. Unser Reisemobil fuhr durch die Gassen wie ein Raumschiff von Außerirdischen.
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Dann erwachte das Dorf plötzlich zum Leben.
Erst bellte ein Hund, dann schaute jemand hinter einer Gardine durchs Fenster und dann rannten ein paar Kinder vom Hof. Sie schnappten sich die herumliegenden Fahrräder und strampelten, was das Zeug hält hinter uns her. An einer Wiese wedelte das Navi mit der Zielfahne und wir waren dann mal da. Sofort umringten uns die Kinder. Wie gut, daß Hans-Hermann immer Schokoriegel für harte Zeiten an Bord hat.
Sein „Daumen hoch!“ kopierten sie sofort und schon hatten wir vier neue Freude.
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Die Wiese nutzten zwar nur die Allradler als Stellplatz - die meisten blieben einfach am Feldrand stehen - aber mit jedem anrollenden Wohnmobil wurden es mehr und mehr Kinder. In Majas Bimobil krabbelten sie neugierig hinein. Tomi, der sogar etwas Russisch spricht - mußte das Haus auf Rädern den Kleinen erklären. Wir waren die Sensation des Tages, des Monats....des ganzen Jahres!
Als sich alle Tour-Teilnehmer eingereiht hatten und die Kinderbäuche und Hosentaschen inzwischen voller Süßigkeiten waren, spazierten wir ins Dorf. Dima hatte eine Überraschung angekündigt und alle waren gespannt, was das wohl sein könnte.
Falls sich jemand gefragt haben sollte, warum wir wohl ausgerechnet in diesem Örtchen des großen weiten Russlands unser Nachtlager aufgeschlagen haben, so wurde die Antwort nun offensichtlich. Die Frauen des Dorfes hatten fleißig gebacken, um uns willkommen zu heißen.
Die Babuschkas von Jalym bereiteten uns einen herzlichen Empfang und versorgten uns mit heißem Tee und Leckereien. Sie ließen uns schmausen und dann kam das, worauf sie sich tagelang vorbereitet und ein ganzes Jahr lang gefreut hatten. Sie sangen stimmungsvolle Lieder und verzauberten uns mit ihrer intensiven Art, Gefühle auszudrücken. In Russland kommt alles tief aus der Seele, wird Dima nicht müde uns zu erklären.
Als auch die Gruppe sich mit einem Lied aus vierzig Kehlen bedankt hatte, luden die Babuschkas zum Tanz ein. In ihren Abschiedsworten versicherten sie uns, daß die Energie, die sie aus diesem Treffen aufgenommen haben, nun für ein ganzes Jahr reichen muß, bis Kostya die nächste Seidenstraßen-Gruppe auf den Weg nach Jalym schickt. Immerhin eine Tradition, die nun schon seit der ersten Tour 2007 besteht. Nie wird eine Gruppe an diesem liebenswerten Ort vorbeifahren. Tradition ist Tradition!
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