Jetzt müssen wir die Seele erst einmal nachkommen lassen
Die ersten, die die Mongolei gestern erreicht hatten, waren gegen 15:30 Uhr erfolgreich eingereist. Die letzten, nämlich das zweite Reiseleiter-Team und ein Teilnehmer-Paar, erreichten den 40 Kilometer von der Grenze entfernten Stellplatz nachts um 0:30 Uhr.
Wir könnten eine abendfüllende Abhandlung schreiben über die Gründe für die Verzögerung oder noch besser einen Sketch drehen, der die Chance hätte, am Silvesterabend „Dinner for one“ vom Beliebtheitsthron zu stoßen. Wie könnte man diese russische Komödie bloß in wenige Worte fassen? Eigentlich unmöglich!
Insgesamt lief die Ausreise aus Russland zäh. Die Mongolen, die gleichzeitig mit uns die Grenze passieren wollten, gaben uns einen Vorgeschmack auf die Mentalität der Einwohner dieses asiatischen Landes. Bei der Zufahrt drängten sie sich gnadenlos mit ihren meist ziemlich schrottigen Autos in jede sich ergebende Lücke. Das heißt, wer auf höflich europäische Weise Abstand zum Vordermann hielt, um dem Querverkehr eine Chance zu lassen, hatte selber schuld.....An den Schaltern schubsten und drängelten unsere mongolischen Mitmenschen als ginge es um ihr Leben und wurden erst etwas ruhiger als Kathrin mit deutlichem Körpereinsatz und energischem Auftreten (was sie erschreckte, obwohl sie die Sprache nicht verstanden) unserer Gruppe Luft verschaffte.
Als alle Tourteilnehmer ihre Formulare und Stempel erhalten hatten, als alle Fahrzeuge akribisch zolltechnisch untersucht worden waren, als alle Wohnmobile sich in Richtung mongolischen Schlagbaum in Bewegung gesetzt hatten.......da fand eine junge Zollinspektorin doch noch etwas zu beanstanden. Es waren eben doch noch nicht alle, sondern nur fast alle gewesen. Das letzte Fahrzeug fehlte noch. Der Oberinspektor hatte bereits den Stempel aufs Dokument gedrückt, da hielt diese übereifrige junge blonde Uniformträgerin, die sich zusammen mit dem Herrn mit der Stempelgewalt und ihrem Drogensuchhund im Wohnmobil befand, ein kleines unscheinbares original verschlossenes Fläschchen schmerzstillende Tropfen in der Hand. Dem Drogenhund war das ziemlich schnuppe aber der Oberinspektor setzte plötzlich eine ernste Mine auf und faltete das bereits gestempelte Zolldokument blitzschnell zusammen, bevor er es in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
Dieses ganz gewöhnliche Schmerzmittel sei in Russland verboten, erklärten sie uns. Unsere sofortige Bitte, die Packung zu konfiszieren und die Tropfen zu vernichten, stieß auf keinerlei Gegenliebe. Man müsse nun den Fall ermittlungstechnisch bearbeiten, da es sich um ein Zollvergehen handle und das könne dauern. 2-3 Stunden wurden uns in Aussicht gestellt. Wir schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Hätten wir zu dem Zeitpunkt gewußt, daß aus diesen 2-3 Stunden geschlagene sieben werden würden, wir hätten nicht nur die Hände, sondern auch Arme und Beine zusammen geschlagen.
Wir wurden in eine Amtsstube gebracht, in der zwischenzeitlich 7 Personen gleichzeitig an dem „Fall“ arbeiteten. Es wurden Fotos von der Medikamentenflasche genommen, sie wurde vermessen, gewogen - mit Originalpackung und ohne.... Unser Reiseteilnehmer, der gar nicht wußte, wie ihm geschah, mußte Angaben zur Person machen, zu seinen Familienangehörigen, seinem Ausbildungsstand und so weiter. Kathrin brachte alles auf Englisch zu Papier, eine Dolmetscherin übersetzte mithilfe einer Google-App, es wurde getippt, gedruckt, korrigiert, nochmals gedruckt. 30 Unterschriften waren nötig vom Besitzer des Medikaments, 12 von seiner Ehefrau, deren Ausbildungsstand und Arbeitgeber ebenfalls erfaßt wurden.
Der helle Wahnsinn! Für jede Seite, die gedruckt wurde, mußte im Nebenraum irgendwo erst ein Blatt Papier organisiert und frisch eingelegt werden. Zwischendurch klingelte ein nostalgisches Schnurtelefon mit schrillem Ton, so daß man sich in einen alten Schwarzweiß-Film oder einen Sketch von Loriot versetzt fühlte. Die Stunden tröpfelten so vor sich hin. Eigentlich war für den Bericht schon eine Überschrift im Kopf - nein, zwei Überschriften waren es: Entweder „Schau nicht auf die Uhr!“ oder aber „Wie gut, daß wir früh aufgestanden sind, so hat man mehr vom Tag“ (Anm. d. Red. Wir waren um 6 Uhr losgefahren, um genug „Luft“ für den Grenzübertritt zu haben.)
Um 19:30 Uhr, nach 4,5 Stunden dieser "Dramödie", war Schichtwechsel und zwei frische Zollbeamtinnen übernahmen den Vorgang. Die Folge war, daß der Fall komplett neu aufgerollt wurde, alle bereits gedruckten, gestempelten, unterschriebenen Seiten wanderten auf die Fensterbank und wir buchstabierten abermals die Heimatadresse und erklärten den Sachverhalt auf Englisch, was eine Dolmetscherin auf Russisch übersetzte, damit eine weitere Person das „Vergehen“ auf einem veralteten Computer mit zwei Fingern in die richtige Form bringen konnte.
Gegen 22 Uhr wurde das inzwischen leicht verknitterte, sieben Stunden zuvor bereits abgestempelte Zolldokument endlich übergeben und wir durften nach einer Passkontrolle aus Russland ausreisen. Das kleine original verschlossene Medikamentenfläschchen wird nun nach Irkutsk zur Analyse eingeschickt. Wohin die dicke Akte wandert, wissen wir nicht.
Wir vier müden Krieger wanderten auf mongolischer Seite von Schalter zu Schalter, um kurz vor Mitternacht tatsächlich einreisen zu dürfen und den Anschluß zur Gruppe wieder aufzunehmen.
Der russische Bär hatte wieder einmal zugeschlagen. Immerhin wurden wir ausgesucht höflich und freundlich behandelt. Nicht, daß da ein falscher Eindruck entsteht. Aber wie bitte, soll man sich so eine Comedy erklären. Wir warteten eigentlich die ganze Zeit darauf, daß Guido Cantz hinter einem Aktenschrank hervor springt und „Versteckte Kamera“ ruft.
Das war die Kurzfassung! Sorry!
Dafür handeln wir den heutigen Tag jetzt in Windeseile ab..... .
Morgens wurde das mongolische Team vorgestellt: Zuerst Mende, der lokale Partner, der hier alles im Griff hat und organisiert. Er hatte bereits Straßenatlanten für alle mitgebracht, eine obligatorische Fahrer-Haftpflichtversicherung für jedes Fahrzeug abgeschlossen, SIM-Karten besorgt und einen Umschlag der Landeswährung Tugrik für alle bereit.
Zwei Dolmetscherinnen, Baira und Tschinge, konnten begrüßt werden. Sie begleiten uns ab jetzt. So sind wir gut aufgestellt für alle Eventualitäten. Auf unserer ersten Etappe durch dieses neue unbekannte Land kamen wir an zahlreichen Ovoos vorbei. In diesen Steinhaufen soll ein Geist sitzen. Man wirft noch drei kleine Steine dazu und umrundet ihn einmal im Uhrzeigersinn, um etwas zu wünschen. Na, da wünschen wir uns doch einfach etwas mehr Glück für den nächsten Grenzübergang, wie wär‘s?
Die Landschaft war sofort faszinierend für uns. Überall verstreut sieht man Jurten, die heutzutage schon mit Solar und SAT-Schüssel ausgerüstet sind.
Wir fuhren auch durch die zweitgrößte Stadt der Mongolei, durch Darchan. Das Stadtbild ist eine Mischung aus Jurten und auffällig bunten Häusern. Ist ja nie verkehrt, etwas Farbe ins Leben zu bringen!
Der Straßenzustand schwankte zwischen schlecht und sehr schlecht.
Trotzdem überholten uns die Einheimische wie die Teufel.
Die vielen Schafe und Ziegen ließ das komplett unbeeindruckt. Es gibt gut 3 Millionen Mongolen und etwa 66 Millionen Tiere in diesem Land.
Zauberhaft und eindrucksvoll die Landschaft in ihren vielen verschiedenen Grüntönen - sogar ohne Sonnenschein.
Die meisten Mongolen sind Buddhisten. Man fragt sich allerdings, ob sie ihren Religionslehrer richtig verstanden haben. Predigt der Buddhismus nicht immer die Friedfertigkeit und den Respekt vor den anderen? Wie paßt das mit drängelnden, schubsenden, hupenden, halsbrecherisch rasenden Fahrern zusammen?
Barbara und Jürgen holten sich vom großen Buddha, der uns unterwegs anlachte, Beistand für das Fahren auf mongolischen Straßen.
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Unser Tagewerk war geschafft, als wir alle unversehrt auf dem heutigen Stellplatz ankamen. Wir wohnen auf dem Gelände eines Hotelkomplexes, auf dem die Gäste teilweise in Jurten schlafen.
Auf 1200 m Höhe werden auch wir die Nacht bestimmt mit erholsamem Schlaf verbringen.
Vor dem großen SeaBridge Begrüßungsessen mit mongolischen Spezialitäten hielt unsere Baira eine Unterrichtsstunde in einheimischer Kultur für uns ab.
Alle sind nun sehr gespannt, was im Land von Dschingis Khan auf uns zukommen wird. Wir fahren kleine Etappen, damit die Seele Zeit hat, nachzukommen....
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