Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen
Die gute Nachricht ist: Wir sind wieder mit heiler Haut zurück in der Heimat.
Was sich allerdings nach der Landung in Frankfurt so alles zugetragen hat, das füllt den Rahmen einer eigenen Kurzgeschichte. Dieses Mal also kein Foto-Report! Wem das zu trocken ist, der verpaßt auch nicht wirklich was, wenn er diese kleine Geschichte einfach ignoriert.
Eigentlich fängt das Drama bereits beim Anflug an. Kapitän Bardenwerper meldet sich eine halbe Stunde vor dem Touchdown mit den Wetterdaten. „Es erwarten uns böiger Wind und Nieselregen bei 3°C“ nuschelt er ins Mikrophon.
Immerhin PLUS! Das sind mehr als 40 °C Temperaturunterschied zum Addo Elephant Park, in dem wir noch vor einer Woche Schattenplätze suchten. Aber, was hatten wir auch erwartet?
Dann geht alles Schlag auf Schlag: Um 5:30 Uhr als erster Flieger nach der Nachtsperre eingewunken, überpünktlich auf dem Rollfeld aufgesetzt, Einreise zügig Dank automatisierter Passkontrolle, ausgesprochen kurze Wege (für Frankfurter Verhältnisse!). Offenbar war uns eine Parkbucht zugewiesen worden, die strategisch günstig lag. So weit so gut.
Das Kofferband setzt sich schon bald in Bewegung. Wir greifen zu, alle anderen aus unserer Gruppe finden auch gleich ihr Gepäck. Letzte Umarmungen - stets mit einem Auge auf dem Gepäckband, denn ein Koffer fehlt uns noch. Irgendwann ist das Förderband fast leer, ein Rucksack zieht noch einsame Kreise aber unser Koffer bleibt verschollen. Dann stoppt es! Alle anderen Passagiere sind mit ihren Rollkoffern happy von dannen gezogen. In diesem Moment weiß man, was Einsamkeit bedeutet.
8,06 Gepäckstücke pro 1000 Passagiere verschwinden bei Flügen, die einen europäischen Zielflughafen ansteuern. Bei einem durchschnittlichen Flug mit 200 Passagieren stehen - statistisch gesehen - nach der Landung ein bis zwei Reisende ohne Koffer herum. Das sind an diesem sehr frühen Dienstag also die PHOENIXE. Schnell ist der Verlust gemeldet. Weniger schnell tippt die Lufthansa-Angestellte die Angaben im Zweifingersuchsystem in die weltweite Datenbank. Eine Referenznummer wird vergeben. Auf dem Reportschreiben steht ganz oben, daß man sich entschuldigt und umgehend mit den Nachforschungen beginnen wird.
95 % der als verloren gemeldeten Gepäckstücke werden innerhalb der ersten 48 Stunden gefunden. Das beruhigt. Wir erwischen den Zug am Fernbahnhof nur mit Mühe. Kein Wunder, denn Frau Özgür hatte in Seelenruhe den Vorgang bearbeitet, die Schalterautomaten der Deutschen Bahn waren natürlich alle belegt, als wir unser Rail & Fly Ticket ausdrucken wollten, ein Japaner bat uns händeringend um Hilfe beim Kauf einer Fahrkarte nach „Wursburg“. Entgegen unserer sonstigen Prinzipien schickten wir ihn kurzerhand zum Infozentrum der Bahn, um freien Zugang zum Automaten zu bekommen. Nach wiederholter Eingabe der Abholnummer zeigte das Display wiederholt „ein Fehler ist aufgetreten“, bis wir verzweifelt zum Automaten gegenüber wechselten, der die Tickets wahrhaftig noch rechtzeitig ausspuckte. Daß der Fahrstuhl verstopft war und wir mit Sack und Pack die Rolltreppe hinunter hechteten, wollen wir unerwähnt lassen. Immerhin könnte jemand erwidern, daß wir uns doch glücklich schätzen könnten, einen Koffer weniger als Ballast am Bein zu haben.
Einmal im Zugabteil zur Ruhe gekommen, grübelt man natürlich, was man wohl alles in den Koffer gepackt haben mag. Die neue Straußenleder-Tasche zum Beispiel. Der Seidenschal aus Sydney mit dem Aborigines-Muster oder die Cashmere-Pullover, die wir in der Mongolei günstig erstanden hatten. Die Navigationsgeräte, die die Tour-Teilnehmer leihweise von SeaBridge für die Reise zur Verfügung gestellt bekamen. Die Jacken, die gleich griffbereit liegen sollten und die man im warmen Südafrika natürlich nicht gebraucht hatte. Je länger man nachdenkt, desto mehr Gegenstände fallen uns ein, die wir wirklich vermissen würden, wenn wir zu den 5 % Unglücksraben zählen sollten, deren Koffer auf immer und ewig verschwunden bleibt.
Nach einigen Stunden Zugfahrt gibt es ein emotionales Wiedersehen mit unserem Phoenix. So müssen sich Cowboys fühlen, wenn sie ihr treues Pferd wieder treffen. Wir sind glücklich. Auch wenn wir uns bei dem Wetter fragen, warum wir nicht lieber in Afrika geblieben sind. Es ist kalt, es ist naß, es ist windig. Wir füllen den Frischwassertank, öffnen den Gashahn und hoffen inständig, daß die Heizung anspringen wird. Da fällt unser Blick auf einen kleinen Wasserfilter, der zerborsten ist. Uns schwant Übles. Und tatsächlich! Die Pumpe zieht Luft, es kommt kein Wasser aus den Hähnen. Darf man in dieser Situation überhaupt die Heizung anschalten oder nimmt der Boiler dann Schaden, wenn er nicht mit Wasser geflutet werden kann? Ein Anruf beim Händler unseres Vertrauens beruhigt uns zumindest in dieser Hinsicht. Heizung springt an und läuft rund!
Bei zunächst ausgeglichenen 5 Grad Außen- und Innentemperatur verschiebt sich das Gleichgewicht ganz allmählich in den zweistelligen Bereich im Phoenix. Eine Gießkanne wird befüllt und aufs Waschbecken gestellt. Sie dient als Fließend-Wasser-Ersatz für Händewaschen, Toilettenspülung und in der Küche.
Unser Händler verspricht, einen neuen Filter zu schicken. Und ja! Eine automatisch generierte E-Mail verkündet, daß der Koffer in Johannesburg aufgespürt wurde und mit der nächsten Maschine auf den Weg nach Frankfurt geschickt wird. So weit - so gut! Alles wird gut!
Am nächsten Morgen um 7:33 Uhr reißt uns das Telefon aus süßen Träumen. Die Stimme von Frau Özgür ist stolz und fröhlich: „Ihr Koffer ist in Frankfurt angekommen! Wir fliegen ihn nun in Ihre Nähe und lassen ihn mit einem Kurier ausliefern.“ Frohe Botschaft! Da geht uns das Auspacken umso schneller von der Hand. Und in der beschränkten Raumkapazität des Wohnmobils ist es eigentlich umso besser, wenn nicht zu viel Gepäck gleichzeitig herumsteht.
Im Laufe des Tages tippen wir immer mal wieder die Referenznummer in die Suchmaske der weltweiten Gepäckermittlung ein, in der Hoffnung auf Neuigkeiten, wann denn nun der Koffer kommen soll. Keine Nachrichten sind ja angeblich gute Nachrichten. Kann man so und so sehen!
Am Abend dann der Anruf von einer Berliner Nummer: „Hier Baggage Express! Ihr Fluggepäck wurde soeben an DHL übergeben und wird morgen zwischen acht und zwölf Uhr zugestellt!“ Super! Läuft! Bis dahin waren wir sowieso mit dem Auspacken des pünktlich angekommenen Gepäcks beschäftigt gewesen. Im Wohnmobil geht das natürlich nicht so leicht von der Hand wie in einem richtigen Haus. Irgendwie steht alles allem im Weg.
„Morgen zwischen acht und zwölf“ ist also heute. Zwischen acht und zwölf kommt kein DHL-Wagen vorbei. Der Zehn-Euro-Schein, den wir schon als Trinkgeld bereit gelegt hatten, wird am Nachmittag gegen einen Fünfer eingetauscht. Wenn sich der Fahrer so verspätet, dann eben nicht! Es wird 13 Uhr, es wird 14 Uhr....da hält ein DHL-Wagen. Na also! Heraus steigt ein kleiner blasser Fahrer, von dem man kaum annimmt, daß er einen 26 kg schweren Koffer ausliefern kann. Kann er vielleicht - tut er aber nicht. Er übergibt uns ein federleichtes kleines Päckchen und läßt quittieren.
Die erste Enttäuschung weicht Euphorie! „Wasserfilter“ steht auf dem Lieferschein. Das ging jetzt aber schnell. Das zerbrochene Kunststoffteil tauschen wir blitzschnell aus und ab 14:39 Uhr fließt wieder Wasser durch die Venen des Phoenix. Die Gießkanne kann ausgeleert werden und verschwindet in einer Außenklappe. Ein Problem haben wir also im Griff. Nun fehlt bloß noch der Koffer.
Wir sind zuversichtlich bis - ja, bis 18 Uhr. Als bis dahin immer noch kein Koffer geliefert wird, rufen wir bei der Berliner Nummer vom Vorabend an: Besetzt, Warteschleife: „Alle Mitarbeiter befinden sich im Gespräch - haben Sie Geduld!“ Die haben wir! Dann knackt es in der Leitung. Es meldet sich Herr Schultrich. Wir unterbreiten unser Anliegen. „Ja!“ sagt die junge Stimme, „das kann ich Ihnen erklären. Bei DHL hat es heute einen Datenabriß gegeben. Die Koffer wurden am Flughafen abgeholt. Sie sind definitiv nicht mehr im Depot. Niemand weiß genau, wo sie sich jetzt befinden. Der Herr Hasselberg wird morgen extra aus seinem Frei zurück kommen, um das Chaos aufzurollen.“ Ein knappes „Aha“ können wir einschieben, bevor Herr Schultrich fortfährt. „Wir wissen im Moment auch nicht, unter welcher Tracking Nummer wir die Gepäckstücke verfolgen können, denn DHL Express hat neue Nummern vergeben und handschriftlich die Adressen hinzugefügt.“
Im Kopfkino sehen wir unseren Koffer ausgeliefert auf einer Nordseeinsel, einer Hallig vielleicht. Wer weiß welche handschriftliche Adresse welchem Gepäckstück zugeordnet wurde. Vielleicht hätten wir ihn selbst aus Johannesburg abholen sollen, mindestens aus Frankfurt.......
Herr Schultrich versichert uns erneut, daß Herr Hasselberg morgen extra aus „seinem Frei“ (spricht man so in Berlin?) ins Büro kommen werde, um alles zu klären. Unser Anliegen hätte er nun ganz oben auf seinen Zettel geschrieben, den er morgen Herrn Hasselberg übergeben werde, der schließlich extra aus seinem Frei kommen wird wegen dieses unglücklichen Datenabrisses. Wir bedanken uns und legen mit gemischten Gefühlen auf. Wer weiß, wo der Koffer die Nacht verbringen wird oder ob er längst einen neuen Besitzer gefunden hat......
Wir haben das Handy noch nicht ganz aus der Hand gelegt. Da macht es sanft „Pling“. Eine SMS von DHL. Yeahh! Wahrscheinlich schreiben sie, daß sie im Anmarsch sind. Ein Blick auf die Zeilen verblüfft: „Die Sendung wird voraussichtlich am 18. März 2019 zugestellt. Unterschrift erforderlich.“ Wie jetzt? Eine Express-Sendung, die am heutigen 14. März für zwischen acht und zwölf Uhr gebucht war, soll nun erst am 18. März ankommen? Geht ja wohl gar nicht. Immerhin Erleichterung, daß doch noch eine dünne Nabelschnur zwischen uns und unserem Koffer erhalten geblieben ist. Was tun?
Rufen wir doch einfach noch mal Herrn Schultrich in Berlin an. Dasselbe Prozedere wie beim ersten Mal: Besetzt, Warteschleife: „Alle Mitarbeiter im Gespräch - Geduld! Dann meldet sich Herr Schultrich. Wir berichten von der frisch reingekommenen SMS. Der 18. März bringt ihn zum Lachen. „Das ist so was von falsch! Das gehört ins Buch der Skurillitäten, die wir täglich mit DHL erleben. Wenn nicht Samstagslieferung angekreuzt ist und Sonntag arbeiten sie sowieso nicht, dann schreiben sie automatisch den nächsten Montag hin. Das heißt gar nichts. Der Koffer wird morgen zwischen acht und zwölf Uhr kommen. Ganz sicher. Da wird sich Herr Hasselberg sowieso drum kümmern. Das kommt im Buch der Skurillitäten direkt vor dem Berliner Flughafen. Immerhin scheinen sie die Tracking Nummer noch mit der richtigen Handynummer verknüpft zu haben.....“ Unser Telefonpartner redet sich heiß.
Dann gibt er unvermittelt zu, daß der ganze Schlamassel etwas Positives für ihn hätte. So kann er seine Spätschicht bis 23:30 Uhr mit interessanten Telefongesprächen verbringen und es würde ihm nicht langweilig werden.
Na dann! Wir freuen uns, daß wir ein wenig zur Jobzufriedenheit von Herrn Schultrich in Berlin beitragen konnten. Uns wird natürlich auch nicht langweilig, denn wir schließen Wetten ab, ob der Koffer es wirklich morgen bis zu uns schaffen wird. Immerhin können wir wieder Hände waschen, ohne fremde Hilfe. Eine Hand wäscht die andere. Doch wenn eine der beiden die Gießkanne halten muß, dann wird‘s schwierig.
Oscar Wilde prägte den Ausspruch: "Man umgebe mich mit Luxus. Auf das Notwendige kann ich verzichten" Für viele Menschen in Afrika ist fließendes Wasser absoluter Luxus!
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