Ohrenbetäubende Stille und Hammel vom Feuer
Man sagt dem Baikalsee mystische Kräfte nach. Auf unsere Gruppe wirkt er tatsächlich wie Balsam für die Seele. Wir schreiben den 38. Tag dieser ereignisreichen Langzeitreise und zum ersten Mal bleiben die Wecker stumm. Wir schlafen so tief in dieser frischen Luft, in der kein Laut die Stille durchdringt. Der See mit seiner unvorstellbaren Größe liegt uns stumm zu Füßen und zieht doch all unsere Blicke auf sich.
Die Insel, auf der wir diese wunderbaren freien Tage verbringen, liegt ziemlich genau in der Mitte des Baikals. Südlich von Olchon findet sich mit über 1600 Metern die tiefste Stelle des Sees und nördlich des Nordkaps (das wir uns bereits erwandert haben) liegt mit 95,9 km die breiteste Stelle. Wir nehmen diese Zahlen zur Kenntnis, genießen aber einfach das kleine Reich unserer ruhigen Bucht, in der wir dem steten Wechsel des Farbenspiels zusehen.
Der Baikalsee lebt und beschert uns traumhafte Stunden der Besinnung.
Wer will, geht wandern oder bringt die Walkingstöcke zum Einsatz. Bereits am Vormittag wird die russische Banja wieder angeheizt. Wo sonst hat man das Vergnügen, von der Sauna direkt im See abkühlen zu können? Die Zeit scheint stehen zu bleiben.....
......und doch, vergeht sie. Wir merken es daran, daß um 17 Uhr plötzlich Aktivitäten am Ufer stattfinden. Es wird ein Feuer entfacht. Große schwarze Töpfe mit brodelndem Inhalt stehen auf den Flammen und unser Tsyren paßt auf, daß der Hammel gut durchgekocht wird.
Auch für Vegetarier ist gesorgt. Allerdings bereitet uns die Farbe des Himmels etwas Sorgen. Es sieht nach Regen aus. Donnergrollen kündigt ein Gewitter an. Tsyren nimmt seinen Job sehr ernst und kostet regelmäßig den Inhalt des Hammeltopfs.
Drei Burjatinnen erscheinen und bringen ein hochprozentiges aus Milch gewonnenes Getränk mit. Man muß zunächst den Ringfinger eintauchen und die daran haftende Flüssigkeit gen Himmel schnipsen. Einmal für jedes Familienmitglied! Wer viele Kinder hat, leert auf diese Weise das Glas, bevor er überhaupt getrunken hat.
Auch gute Wünsche lassen sich mit diesem Ritual verknüpfen. Dima bittet den Wettergott um ein wenig Aufschub. Noch eine Stunde wäre nett, damit wir im Trockenen den Hammeltopf verzehren können.
Während das Fleisch in der Brühe gar gekocht wird, beginnen die drei Einheimischen mit dem Begrüßungsritual. Weihrauch wird entzündet und Stutenmilch in Schalen dargeboten.
Jeder nimmt einen Schluck und schon sind wir alle Freunde. Ein verbindendes Ritual, bevor man sich zum gemeinsamen Essen nieder setzt.
Der Wind hatte stark vom Meer aufgefrischt. Ein Teamfahrzeug wurde als Windschutz quer zum See gestellt, damit die drei Burjatinnen uns noch vor dem Abendessen mit ihren Tänzen und Gesängen erfreuen konnten.
Auch die gesamte Gruppe versuchte dann, mit einem Regentanz das Gewitter fern zu halten. Wie lange haben wir noch? Blitze durchzogen den Himmel und schwarze Wolken rückten bedrohlich näher.
Schließlich war der Hammel gar, wurde verschmaust und dann fielen die ersten Tropfen. Schnell wurde zusammen geräumt. Schade! Es hätte ein schöner Abend werden können.
Und siehe da! Es wurde ein schöner Abend. Werner drehte seine große Markise heraus und legte ein paar heiße Rhythmen auf. Bald schon durchzog fröhliches Lachen unsere kleine Bucht. Zu Tanzmusik von den Rolling Stones und Mireille Mathieu wurde ausgelassen Mittsommer gefeiert. Väterchen Baikal wird sich gewundert haben, was für eine Reisegruppe an seinen Gestaden Party machte. Das Gewitter zog schnell vorüber.
Und schon ganz bald, wenn der Letzte in seinem Wohnmobil verschwunden ist, wird sie wieder zu hören sein - die ohrenbetäubende mystische Stille des Baikals.
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