54. Tag / Fahrtag 37: Naracoorte - Portland 232 Kilometer
Wer die Perspektive ändert, sieht die Dinge in einem ganz anderen Licht.
(Engelbert Schinkel)
Am heutigen Tag änderten wir die Perspektive ständig. In der Tat änderte sich das Licht jedes Mal und schuf ganz neue Farbeindrücke. Wir wollen die gestrigen Wortspiele nicht zu sehr strapazieren aber heute bot sich den Augen von höhlenschwarz über rosenrot, tintenblau, flußbraun, meerblau und schaumkronenweiß alles bis hin zu türkisgrün, das sich als letzter Eindruck auf unsere Netzhaut brannte, bis wir die traumhaft schöne Etappe auf dem Campingplatz in Portland beendeten.
Für alle startete der Tag mit einer Froschperspektive, denn ein jeder legte sich unter sein Mietmobil, um festzustellen, ob sich der Frischwassertank noch an seinem Platz befand. Nachdem bei zwei Fahrzeugen bereits die Metall-Halterung gebrochen war und repariert werden mußte, kamen Narziss & Ruth gestern ins Ziel mit einem Wassertank, der nur noch am seidenen Faden hing. Also mußte eine Werkstatt gefunden werden, die den Schaden schnellstmöglich beheben konnte. Bei zwei weiteren Fahrzeugen war die Halterung angebrochen und so fuhr eine kleine Karawane von drei Wohnmobilen zu einer äußerst kompetenten und hilfsbereiten Werkstatt in Naracoorte.
Es dauerte eine Weile aber letztendlich konnten alle Patienten als geheilt entlassen werden. Leider verpaßten diese Teams die Führungen durch eine der Karsthöhlen, für die Naracoorte berühmt ist.
Alle anderen tauchten ab in die Unterwelt und ließen sich die Knochenfunde der Urzeit-Tiere erklären, für die
die Höhlen den Welterbestatus der UNESCO bekommen haben.
Oder sie bestaunten die Stalaktiten und Stalagmiten, die das langsam durch den Kalkboden tropfende Wasser geformt hatte. Alles aus einer Perspektive von ganz weit unten.
Zurück an der Erdoberfläche ging die Fahrt weiter durch die Coonawarra Weinregion. Auf den kalkhaltigen, sandigen Böden wird vor allem Rotwein produziert. Nach dem Perspektivwechsel von unten nach ebenerdig erfreuten wir uns an den kräftig roten Rosenbüschen. Welch ein Kontrast zu der kargen Landschaft im Outback, durch die wir so lange gefahren sind!
Dann aber erklommen wir eine langgezogene Steigung und konnten entweder rechts- oder linksherum einen Kraterrand befahren und immer wieder anhalten, um Fotos zu machen.
Der Blickwinkel war nun ein ganz anderer und die Farbe ebenfalls. Vor uns breitete sich der Blue Lake aus und strahlte mit dem Himmel um die Wette, wer wohl das intensivste Blau zu bieten hat. Im Winter ist das Wasser grau und erst Anfang November, wenn die Luft milder wird und das kalkhaltige Wasser erwärmt, kommt es innerhalb weniger Tage zu einem dramatischen Farbwechsel. Die bei niedrigeren Temperaturen gelösten Kalziumkarbonate kristallisieren und setzen sich ab. Diese Mikrokristalle streuen die blauen Wellenlängen aus dem Sonnenlicht heraus. Von oben ein spektakulärer Anblick.
Nicht immer ist Wasser blau, wenn man es aus der Vogelperspektive betrachtet. Ein Stück weiter des Weges fand sich eine nette kleine Aussichtsplattform über dem Glenelg River. Der präsentierte sich eher bräunlich, denn die Sonnenstrahlen tanzten auf seiner Oberfläche, ohne von Kristallen gebrochen zu werden.
Bald schon kamen wir nach Victoria.
Es ist der kleinste Bundesstaat in Australien und doch wohnt ein Viertel der Gesamtbevölkerung hier, etwa 6 Millionen Menschen.
Wir mußten die Uhren wieder um eine halbe Stunde vorstellen und haben jetzt zehn Stunden Vorsprung zur mitteleuropäischen Winterzeit.
Nun sind wir auf unserer Australien-Umrundung wieder in derselben Zeitzone angekommen, in der wir ursprünglich in Sydney gestartet waren.
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Daß es plötzlich eine halbe Stunde später war, paßte uns gut, denn wir erreichten kurz danach den Nelson Beach, der zu wunderbaren Spaziergängen durch die Dünen einlud.
Schnell wurde beschlossen, mit Sand zwischen den Zehen und frischer Meeresbrise um die Nase eine kleine Mittagspause einzulegen: Picknick am Strand - ja, das Leben ist schön!
Auf dem Weg nach Süden kamen wir bald frisch gestärkt auch am Cape Bridgewater vorbei. Wie so oft in den letzten Wochen, hatte auch dieser Tag ein unverwüstliches Steigerungspotential.
Wir fuhren einfach so lange weiter, bis die Straße zu Ende war. Und wieder bot sich eine neue Perspektive. Der Blick von oben auf das wild umtoste Kap war einfach nur traumhaft.
Verschiedene Wanderwege boten sich an. Der Petrified Forest ist ein versteinerter Wald, der majestätisch oberhalb der Klippen "wächst".
Eine besonders schöne Aussicht hatte man vom Blowholes Lookout. Hier nimmt das Meer praktisch Anlauf, zieht sich etwas zurück, um dann mit ganz besonderer Wucht die Wellen an die Klippen zu schleudern. Bei Flut pressen sie Wasser durch enge Löcher, das dann in die Höhe schießt wie die Fontäne eines Wales.
Ab November sollen sogar echte Wale an dieser Küste vorbei schwimmen. Die gewaltigen Blauwale werden von der Unmenge an Krill angelockt, der in dem sommerlich erwärmten Wasser bestens gedeihen kann. Leider konnten wir keinen dieser Meeresriesen entdecken, so sehr wir auch die Blicke schweifen ließen.
Morgen werden wir nochmals an einer Walbeobachtungs-Stelle vorbei kommen. Vielleicht haben wir dann mehr Glück. Doch was heißt schon "mehr Glück"? Wenn man den ganzen Tag über die Welt aus ständig wechselnden Perspektiven betrachten konnte und dann mit einem solchen Anblick verabschiedet wird, um in der abendlichen Ruhephase Kraft zu tanken und das Erlebte in einem Bericht zu verarbeiten, dann kann man sich wohl glücklich schätzen.
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